VON DER KUNST ZU WARTEN
… und was das mit dem Schreiben zu tun hat
Vor wenigen Tagen benötigte ich dringend einen kurzfristigen Arzttermin. Die Sprechstundenhilfe sagte mir, dass so schnell leider nichts zu machen sei. Erst in 30 Minuten hätte sie etwas frei. Ich lachte und erklärte ihr, dass 30 Minuten durchaus als „schnell“ durchgehen.
Schnell und langsam – unser Verständnis davon hat sich sehr geändert. Keine Frage: In Zeiten, in denen ich meinen Wunsch nach einem guten Buch mit einem Klick sofort erfüllen kann, ist das Warten darauf, dass ich das nächste Mal bei meiner Lieblingsbuchhandlung vorbeigehen kann, doof – oder nicht? Oder ist es doch eher Vorfreude?
Was bringt warten denn noch, wenn ich es doch nicht mehr muss? Beim Schreiben bringt es durchaus etwas. Warten, bis aus den Themen, die man wälzt, aus den Ideen, die man sammelt, etwas entsteht. Natalie Goldberg nennt das die Blüte, die plötzlich aus dem Komposthaufen wächst. Auch wenn man während dieser Form des Wartens nicht untätig ist, sondern ständig weitersammelt und -schreibt.
Warten hilft auch, wenn die Idee dann da ist. In dieser Phase befinde ich mich gerade mit meinem aktuellen Projekt. Ist diese Idee auch wirklich gut? Trägt sie über lange Strecken hinweg? Entwickeln sich daraus interessante Figuren, schlüssige Handlungsstränge, spannende Szenen? Oder liebe ich diese Idee nur, weil sie neu ist? In diesem Zustand des Frisch-Verliebtseins darf ich alles notieren und willkommen heißen, was mit der Idee zu tun hat. Trotzdem schubse ich sie immer wieder auf die Wartebank. Mal sehen, ob ich in einem Monat immer noch so begeistert bin. Mal sehen, ob die Idee zu einer Geschichte reifen kann. Mal sehen, ob meine Notizen, nachdem der erste Rausch verflogen ist, noch Sinn machen.
Im Spiegel 2/5.1.2015 wird berichtet, wie Ian McEwan seine Romane schreibt.
„Von der ersten Seite an ist deutlich zu spüren, dass der Autor genau weiß, wohin er mit dieser Geschichte steuert. Doch beim Schreiben lässt er sich Zeit; bevor er mit einem neuen Roman beginnt, zögert McEwan lang. Dieses Zögern ist wesentlich für seine Arbeit. „Ich mache Notizen, ich probiere einzelne Absätze aus, ich überprüfe, ob das, was im April interessant war, auch im September noch taugt, und ob es mich in unterschiedlichen Stimmungen interessiert.““
In diesem Sinne ist warten doch essentiell für den Schreibprozess. Und das nächste Mal, wenn es beim Arzt nicht „schnell“ geht, sondern ich mehrere Stunden im Wartezimmer verbringe, könnte ich meine Notizbücher durchgehen und überlegen, ob meine Idee dann schon die Wartebank verlassen darf.