Danke und nein, danke
In diesen Zeiten bin ich Technologie so dankbar: Ich konnte mit meiner Freundin aus Heidelberg einen virtuellen Kaffee trinken. Dabei habe ich von ihr wertvollen Rat bekommen, wie ich mit meinen Kindern gut umgehen kann (Stichworte Home Office und Home Schooling und Kindergartenkind, alles gleichzeitig. Klar, oder?).
Ich konnte mit meiner Meditationslehrerin, die ich aus einem Retreat in Griechenland kenne und die in England lebt, meditieren und über ihre lustige Persönlichkeit lachen. Danke, Live Stream!
Ich habe Newsletter bekommen, die in ehrlichem Mitgefühl formuliert waren, Mutmacher per SMS und Sprachnachrichten von Freunden, die mit mir gefeiert haben, dass ich einen neuen Buchvertrag erhalten habe.
Überall gibt es Hilfe: Eine Kollegin bietet eine Online-Schreibhilfe an, eine andere Kollegin eine Gruppe, in der wir uns über den täglichen Fortschritt auf dem Laufenden halten. Ich will überall mitmachen! Ich freue mich so sehr, wie die Kreativität, die Hilfsbereitschaft und der Frühling sprießt. Und: Es ist alles viel zu viel. VIEL ZU VIEL!
Ich habe längst davon losgelassen, was ich Schönes in dieser Zeit zuhause machen könnte (Keller ausmisten, Ostereier bemalen, neue Rezepte ausprobieren), machen müsste (Hausaufgaben begleiten, den neuen Roman schreiben, Steuererklärung erstellen) und machen wollte (schlafen, schlafen und schlafen). Dass ich all das nicht schaffe und schaffen kann, weiß ich deswegen, weil ich ohnehin immer im Home Office arbeite.
Aber gestern war der Höhepunkt erreicht: Ich war zu nervös, zu sehr mit allem gleichzeitig beschäftigt und viel zu viel online. Ich konnte spüren, was das mit meiner Energie macht. Zu viel Elektronik wirkt bei mir wie zu viel Kaffee. Irgendwann bin ich übermäßig gestresst und schreie meiner Kinder an. (Sorry.) Deswegen gilt schon lange: Nur eine Tasse am Tag. Schwarz. Richtig gut. Mehr nicht.
Und das ist jetzt auch mit der Technologie angesagt.
Schreiben kann ich auch in mein Notizbuch.
Mich mit Freunden unterhalten kann ich auch über das Festnetztelefon (oder ich schreibe einen Brief!).
Die Nachrichten sind auch noch da, wenn ich mich erst übermorgen wieder informiere.
Da ich viele verschiedene Meditationsstile ausübe, ist jetzt wieder der hier dran: Sitzen und Stille.
Es ist eine Balance zwischen Verbindung suchen und - ich gebe es zu - einer gewissen Form von FOMO, wenn ich nicht all die schönen Online-Angebote wahrnehme. Ich möchte ja auch nicht vereinsamen. Trotzdem muss ich gerade immer wieder zu manchen Dingen sagen: Danke und nein, danke.
Wie geht es dir damit?
Alles Liebe,
deine Judith
PS: Cal Newport - der Informatikprofessor, der noch nie Social Media verwendet hat - hat dazu das passende Buch geschrieben: Digital Minimalism. Es ist wissenschaftlich fundiert und unglaublich inspirierend. Du kannst es dir über den Online-Dienst deines nächsten Buchladens bestellen und liefern lassen und tust dabei noch Gutes!